Zuletzt aktualisiert am 7.7.2020
Ein längerer Auslandsaufenthalt – der Traum aller frischgebackenen Abiturienten. Nach der Schule erstmal für ein Jahr ins Ausland. Da kann man gleichzeitig das Englisch verbessern, die Welt kennenlernen und den Lebenslauf ein wenig aufpolieren. Ob Au-Pair, Auslandssemester, Work and Travel oder Freiwilligendienst ist da schon fast egal. Hauptsache: Weg!
Auch wenn es so klingt, will ich mich hier über niemanden lustig machen, denn auch ich habe genau das gemacht. Und weil es so schön war gleich noch einmal. Und noch einmal. Mir hat schließlich weder mein Au-Pair-Jahr in Irland gereicht, noch mein Auslandspraktikumssemester in Rumänien, sondern es musste auch noch ein internationaler Freiwilligendienst in Indien sein. Und wer weiß, was mir als nächstes einfällt.
Ich persönlich habe meine Auslandsaufenthalte als sehr bereichernd erlebt. Für mich waren das die ultimativen Losprobier-Erlebnisse. Allerdings habe ich inzwischen auch schon sehr häufig von Leuten gehört, die ihre Auslandsaufenthalte abgebrochen haben, weil es ihnen nicht gut ging oder sie einfach etwas völlig anderes erwartet hatten. Also, was ist das Geheimnis eines erfolgreichen Auslandsaufenthalts?
Da dies eines meiner absoluten Lieblingsthemen und wie gesagt eine meiner liebsten Losprobier-Erfahrungen (und auch immer noch mein Lebenstraum) ist, werdet ihr hier sicher noch sehr viel zum Thema zu lesen bekommen. Aber für heute, lass uns am Anfang beginnen. Ganz am Anfang. Noch bevor es irgendwelche konkreten Pläne gibt. Wenn du über ein Auslandsjahr etc. nachdenkst, dann würde ich dir auf jeden Fall empfehlen, zuallererst die folgenden Fragen für dich zu beantworten.
Was ist deine Motivation für deinen Auslandsaufenthalt?
Zuerst werde dir darüber bewusst, warum du das machen möchtest. Wenn du daran denkst, längere Zeit im Ausland zu leben, worauf freust du dich dann besonders? Was lässt dich ganz aufgeregt werden? Was möchtest du unbedingt machen oder erleben? Und warum kannst du das nicht auch in Deutschland oder in einem kurzen Urlaub?
Meiner Meinung nach müssen die Gründe nicht für jedermann nachvollziehbar sein. Hauptsache ist, dass es etwas ist, was dich wirklich antreibt und was dich weitermachen lässt, auch wenn es schwer ist. Ich zum Beispiel bin jemand, die es sich immer selbst beweisen muss. Außerdem bin ich jemand, der Land und Leute gerne richtig kennenlernen möchte. Und da kann eine Reise noch so authentisch geplant sein: Urlaub allein reicht mir da nicht. Ich brauche dafür Alltag und bis sich der wirklich einspielt, dauert es bei mir gut und gerne mehrere Monate. Wenn ich im Ausland zum ersten Mal einen richtig langweiligen Tag habe, an dem absolut nichts Aufregendes passiert ist? Das ist der Moment, in dem ich weiß: Ich bin angekommen.
Eigentlich wollte ich dir an dieser Stelle davon abraten, ins Ausland zu gehen, nur um deinen Lebenslauf aufzupimpen. Aber ganz ehrlich, wenn das für DER ultimative Grund ist und du bei der Vorstellung an diesen Punkt im Lebenslauf ganz aufgeregt wirst, dann ist das meiner Ansicht nach ein genauso valider Grund wie jeder andere auch.
Vorsichtig wäre ich vor allem dann, wenn der Antrieb vor allem von Anderen kommt. Ja, vielleicht ist deine Mutter der Meinung, dass deiner Cousine ihr Auslandsjahr so viel gebracht hat, dass du das auch machen sollst. Es ist auch schön, dass deine beste Freundin oder dein Partner das unbedingt machen und dich dabeihaben möchte. Aber wenn du für dich persönlich keinen Grund findest, der dich wirklich überzeugt, dann sag bitte nicht sofort ja.
Was willst (und kannst) du arbeiten?
Die Chancen stehen hoch, dass du dir im Ausland irgendwie deinen Lebensunterhalt verdienen musst. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig und die (offiziellen) Anforderungen oftmals gering. Dadurch wird dieser Punkt in der Planung gefühlt sehr oft vernachlässigt. Überlege dir genau, was du machen willst, warum du das machen willst und ob du bereit bist, einen Großteil deiner Zeit damit zu verbringen. „Hauptsache Ausland, egal wie“ ist dabei ein ganz schlechter Ausgangspunkt.
Denn auch wenn es sich beim Planen so anfühlt, als ginge es vor allem ums Reisen und die tollen Erfahrungen, ist das nicht so. All das will auch irgendwie bezahlt werden und dafür musst du arbeiten. Und zwar die meiste Zeit deines Auslandsaufenthaltes. Die meisten abgebrochenen Auslandsaufenthalte aus meinem erweiterten Bekanntenkreis sind genau an diesem Punkt gescheitert. Entweder kamen die Personen selbst mit der Arbeit vor Ort nicht klar oder sie haben die Anforderungen des Arbeitgebers nicht erfüllt und wurden entlassen.
Also: Überlege dir genau, welche Arbeit du machen willst und auch kannst. Wenn irgendwo Referenzen gefordert sind, dann sei so ehrlich und mache lieber noch ein Praktikum in diesem Bereich, statt irgendwelche kreativen Formulierungen zu suchen, mit denen du deinen Ferienjob im Café als Erfahrung in der Kinderarbeit darstellen kannst. Und egal für welche Arbeit du dich entscheidest: Sei dir bewusst, dass du ganz unten in der Hierarchie stehen wirst. Das kann sich mit der Zeit ändern, aber zumindest zu Beginn bist du die ungelernte Fremdkraft, die oft nicht einmal die Landessprache richtig spricht.
Und wenn du dich dann entschieden hast, dann überlege dir gut, für wen du arbeiten willst. Schau dir Referenzen des Arbeitgebers/der Gastfamilie an. Sprich, wenn möglich, mit deinen Vorgängern. Erkundige dich, was deine Aufgaben sein werden und bereite dich schon zu Hause darauf vor. Erkundige dich vorher zu deinen Arbeits- und Wohnbedingungen, so dass du vor Ort keine bösen Überraschungen erlebst. Klar gibt es keine 100%ige Sicherheit, aber eine gewisse Vorbereitung schadet an dieser Stelle definitiv nicht.
Wie viel Verantwortung wirst du tragen?
Das ist der Punkt, an dem ich persönlich mich bei meinem ersten Auslandsaufenthalt ganz schön überschätzt habe. Ich hatte mir genau überlegt, warum ich nach Irland wollte und warum als Au-Pair. Erfahrungen in der Kinderarbeit hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch schon genug. Aber der Moment, in dem ich zum ersten Mal einen ganzen Tag mit zwei fremden Kindern in einem fremden Haus in einem fremden Land allein sein sollte, war doch etwas krasser als erwartet. Was sollte ich eigentlich machen, wenn jetzt irgendetwas passierte? Meine Gastmutter hatte mir, einer 18-Jährigen, gerade die Verantwortung für ihre Familie und ihr Haus überlassen. War ich dieser Verantwortung wirklich gewachsen? (Spoiler: Ja)
In Indien war die Verantwortung zwar eine ganz andere, aber nicht unbedingt weniger. An meiner Einsatzstelle, einem Ort, an dem kaum Weiße leben, wurde ich auf einmal zum Botschafter für ein ganzes Land, einen ganzen Kontinent, eine ganze Hautfarbe. Diesmal war ich aber vorbereitet und dadurch der Verantwortung viel besser gewachsen. Nicht, weil ich daran gedacht hätte, aber weil das auf dem Vorbereitungsseminar ein großes Thema war.
Was will ich also sagen? Mach dir vorher Gedanken, wie viel und welche Verantwortung auf dich zukommt. Sei dir einfach bewusst, dass du vermutlich mehr Verantwortung für ganz andere Dinge tragen wirst als vorher. Überlege dir, wie du damit umgehen wirst. Du musst nicht jetzt schon wissen, ob du das wirklich kannst. Es darf und wird auch Situationen geben, die dich überfordern werden, aber die kannst du mit entsprechender Vorbereitung zumindest deutlich reduzieren.
Bist du bereit, dich zu verändern?
Fakt ist: Ein Auslandsaufenthalt wird dich verändern. Vermutlich wirst du das gar nicht mal besonders merken bis du wieder zurück bist. Kulturschock ist ein Thema, auf das viele zumindest ein bisschen vorbereitet sind Vom Rückkehrerschock haben die meisten – inklusive mir – nichts gehört, bis es sie voll erwischt.
Was heißt das? Das heißt, dass deine Veränderung möglicherweise auch Konsequenzen hat, mit denen du nicht gerechnet hast. Vielleicht verstehst du dich auf einmal nicht mehr mit deinen Freunden. Oder vielleicht schmeckt dir dein Lieblingsessen überhaupt nicht mehr. Möglicherweise hast du völlig neue Hobbys gefunden. Vielleicht kommt dir dein „altes“ Leben soger einfach nur noch falsch und langweilig vor.
Auch hier gilt wieder: Sei dir vorher bewusst, dass das passieren kann und versuche auch dein Umfeld darauf vorzubereiten. Wenn du magst, schreib dir auf, welche Werte, Personen und Dinge dir wichtig sind und warum. Wenn du das nach deiner Rückkehr wieder liest, verstehst du vielleicht besser, wie sehr du dich verändert hast und wie das auf die Menschen aus deinem näheren Umfeld wirken muss. Und bitte versuch nicht, dich dagegen zu wehren. Veränderung an sich ist eine tolle Sache. Lass dich darauf ein.
Fazit:
Ich hoffe, ich habe dir jetzt nicht zu viel Angst gemacht. Ich bleibe nach wie vor dabei: Auslandsaufenthalte sind eine tolle Sache! Sei dir dieser Punkte bewusst, aber mach dich nicht verrückt deshalb. Wenn du überhaupt schon einmal darüber nachgedacht hast, bist du weiter als die meisten anderen. Und dann ist es auch Zeit, direkt mit der Planung loszulegen. Am besten, bevor das Gedankenkarussell anspringen kann. Denn hier steht nach wie vor das Probieren im Vordergrund. Übrigens muss man dafür kein frischgebackener Abiturient sein. Es gibt genug Möglichkeiten, auch später noch für längere Zeit ins Ausland zu gehen, auch wenn es da vielleicht ein paar mehr Sachen zu bedenken gibt. Aber wie gesagt, zu diesem Thema wird es hier sicher noch sehr viel zu lesen geben.
Und am Ende bleibt es dabei: Ob ein längerer Auslandsaufenthalt wirklich etwas für dich ist, erfährst du letztlich nur, wenn du dich traust und losprobierst!
Warst du auch schon für längere Zeit im Ausland oder denkst darüber nach? Welche Tipps und Fragen hast du zum Thema?
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